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Ein Beitrag zur anstehenden Reform des Transsexuellenrechts: Das Recht holt nach, was die Medizin bestimmt

von Andrea Bronstering

Das Bundesinnenministerium hat sich viel vorgenommen für den Rest der laufenden Legislaturperiode: So soll am 1. September 2009 das "Gesetz zur Reform des Transsexuellenrechts" (Transsexuellenrechtsreformgesetz – TSRRG) in Kraft treten, gerade noch vor der Bundestagswahl Ende September. Das geplante TSRRG, das im Bundesrat nicht zustimmungspflichtig ist (TSRRG S. 20), soll das seit 1981 geltende Transsexuellengesetz TSG ablösen, so ein Referentenentwurf vom 7. April 2009. In der Folge dieser Entscheidung sollen das Personenstandsgesetz, das Rechtspflegergesetz und das Bundeszentralregistergesetz redaktionell angepasst werden. Mehrere Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, zuletzt vom 27. Mai 2008, zwangen den Gesetzgeber, tätig zu werden. Zur Entscheidungsfindung hatte der Innenausschuss des Bundestages unter anderem für den 28. Februar 2007 zu einem Fachgespräch geladen; nach mehr als acht Jahren der Debatte um das seit seiner Verabschiedung noch nie reformierte TSG soll der nun vorliegende Entwurf das Transsexuellenrecht an die veränderte Wirklichkeit angleichen.

Was konkret soll in Zukunft anders werden? Was ist von den avisierten rechtlichen Änderungen zu halten? Was bleibt, was fehlt? Das geplante TSRRG hält an der Zweiteilung der Änderung der Vornamen und des Personenstands fest. So heisst es in § 1 Absatz 1: "Die Vornamen einer Person sind auf ihren Antrag vom Gericht zu ändern, wenn sie die fortdauernde und unumkehrbare innere Überzeugung hat, auf Grund ihrer transsexuellen Prägung nicht mehr dem in ihrem Geburtseintrag angegebenen Geschlecht, sondern dem anderen Geschlecht anzugehören." Das geltende TSG verlangt hingegen präzise, dass die entsprechende Person "seit mindestens drei Jahren unter dem Zwang steht, ihren Vorstellungen entsprechend zu leben …" Diese Diagnose muss bislang von zwei Sachverständigen mittels Gutachten gestellt werden. Der TSRRG-Entwurf erheischt nur noch ein fachärztliches Zeugnis, das bestätigt, "dass diese Überzeugung unumkehrbar ist." Antragsberechtigt sind Deutsche im Sinne des Grundgesetzes und alle AusländerInnen, die sich rechtmäßig hier zu Lande aufhalten und deren "Heimatrecht keine diesem Gesetz vergleichbare Regelung kennt." Neben der vom Bundesverfassungsgericht angemahnten Ausweitung des Personenkreises zur Antragstellung, ist im TSRRG-Konzept zusätzlich eine deutliche Tendenz zur Verschlankung des Verfahrens erkennbar.

§ 8 TSRRG stellt folgende Bedingungen zur Änderung der Geschlechtszugehörigkeit auf: "Auf Antrag einer Person stellt das Gericht fest, dass sie dem anderen als dem in ihrem Geburtseintrag angegebenen Geschlecht zugehörig anzusehen ist, wenn sie 1. die Voraussetzungen des § 1 erfüllt, 2. a) dauernd fortpflanzungsunfähig und b) in körperlicher Hinsicht dem Erscheinungsbild des anderen Geschlechts angepasst ist, es sei denn, dass die dafür notwendige medizinische Behandlung eine Gefahr für das Leben oder einer schweren dauerhaften Gesundheitsbeeinträchtigung des Antragstellers darstellen würde …". Die unter Absatz 1 Nummer 2 genannten Voraussetzungen müssen durch ein fachärztliches Gutachten nachgewiesen werden. Der vergleichbare Passus im TSG fordert, neben der Fortpflanzungsunfähigkeit, ausdrücklich, dass die Antrag stellende Person "sich einem ihre äußeren Geschlechtsmerkmale verändernden operativen Eingriff unterzogen hat, durch den eine deutliche Annäherung an das Erscheinungsbild des anderen Geschlechts erreicht worden ist." Eine Ehe ist, anders als nach geltendem TSG, kein Hindernis mehr zur Änderung der Geschlechtszugehörigkeit; diese Haltung erkennt an, dass gerade Transfrauen häufiger homosexuell leben als bislang angenommen und dass so manche Partnerschaft nach dem Geschlechtswechsel fortbesteht.

Die unter 2. b) formulierte Bedingung nimmt implizit Bezug auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 6. Dezember 2005, wonach etwa 30% der Transsexuellen in der Bundesrepublik mit der Vornamensänderung zufrieden sind und nicht auch noch eine Operation anstreben. Ihnen reichen hormonelle, sportliche, kosmetische und/oder soziale Manipulationen ihres Körpers (nolens volens?) aus. Diese Menschen dürften nicht in eine chirurgische Angleichung getrieben werden, um eine Personenstandsänderung zu erhalten, so das oberste deutsche Gericht. Das geltende TSG unterstellt, dass die Vornamensänderung ein Durchgangsstadium zur genitalen Operation ist. Das TSRRG trägt den vielfältigen Lebensentwürfen nicht weniger Transmenschen Rechnung und nimmt Abstand vom chirurgischen Einriff als conditio sine qua non. An der Forderung nach Sterilität, von Aktivistengruppen als menschenrechtswidriger Eingriff in das verfassungsmäßige Recht auf körperliche Unversehrtheit (Artikel 2 Absatz 2 GG) gebrandmarkt, hält der Entwurf hingegen mit der folgenden bemerkenswerten Begründung fest: "Es soll vermieden werden, dass die biologische und die rechtliche Geschlechtszugehörigkeit auseinanderfallen. Die vom Geschlecht abhängigen Zuordnungen im Zusammenleben der Gesellschaft sollen gewahrt werden; hierbei ist insbesondere auszuschließen, dass rechtlich dem männlichen Geschlecht zugeordnete Personen Kinder gebären und rechtlich dem weiblichen Geschlecht zugeordnete Personen Kinder zeugen." (TSRRG, S. 29) Es soll also in Deutschland keinen parallelen Fall zur - bislang absolut singulären - Schwangerschaft des amerikanischen Transmanns Thomas Beatie geben können.

Des Weiteren sieht das TSRRG vor, die Zuständigkeit weiter bei den lokalen Amtsgerichten zu belassen und sie nicht den Standesämtern zu übertragen; eine dergestalt erreichte Zersplitterung des Verfahrens sei unökonomisch. Auf die nach bisherigem Recht vorgeschriebene Beteiligung eines Vertreters des öffentlichen Interesses wird verzichtet, da sie das Verfahren unnötig verzögert. Aufgehoben wird der § 7 des TSG, nach dem eine Vornamensänderung unwirksam wird, wenn "nach Ablauf von dreihundert Tagen nach der Rechtskraft der Entscheidung ein Kind des Antragstellers geboren wird …" Das Offenbarungsverbot, nach dem die zur Zeit der Antragstellung geführten Vornamen gegen den Willen der Antragstellerin nicht ausgeforscht oder genannt werden dürfen, wird entscheidend erweitert: so sind "die weiteren geschlechtsspezifischen Angaben, insbesondere die Anredeform, die geschlechtsbezogenen Dienst- oder Berufsbezeichnungen sowie Angaben zu Verwandtschaftsverhältnissen (…) an das Geschlecht anzupassen, das dem geänderten Vornamen entspricht, wenn dadurch die Aussagekraft und der Wahrheitsgehalt des Dokumentes nicht beeinträchtigt wird." (§ 6 Absatz 3 TSRRG) Quasi eine Personenstandsänderung avant la lettre. Eine Titeländerung des neuen Gesetzes in "Transgender"- oder "Transidentitätsgesetz" lehnt der ministeriale Entwurf ab, da sich die Bezeichnung "Transsexuellengesetz" etabliert habe.

Das TSRRG verdient seinen Namen als "Reformgesetz", da es einzelne bedeutsame Änderungen vornimmt, den Prozess aber grundsätzlich unangetastet lässt und ihn keineswegs revolutioniert. Der Entwurf hat progressive Tendenzen insofern, als er nur noch ein Gutachten je für die Namens- als auch für die Personenstandsänderung verlangt und damit das Verfahren verbilligt. Sehr zu begrüßen ist der potentielle Verzicht auf eine genitale Operation zur Änderung der Geschlechtszugehörigkeit; mit dieser Passage wird die Perspektive des Bundesverfassungsgerichts bestätigt, das das entscheidende Kriterium der Geschlechtszugehörigkeit nicht im Genitale sieht, sondern im subjektiven Empfinden. Der Wegfall der Scheidung einer bestehenden Ehe wird sicherlich erleichtert durch das vor einigen Jahren eingeführte Rechtsinstitut einer (homosexuellen) Lebenspartnerschaft, zu der eine Ehe theoretisch werden kann. Löblich ist auch die Ausstellung einer vorläufigen Bescheinigung über den Antrag zur Vornamensänderung; ein solches Papier wird jenen Transmenschen im Alltag helfen, deren äußere Erscheinung nicht länger ihrem Vornamen entspricht.

Eher konservativ ist das beabsichtigte TSRRG im Hinblick auf die vorbehaltlose Akzeptanz der Sachverständigen in Medizin und Psychologie: das Recht sanktioniert nachholend nur das, was im Rahmen sexualwissenschaftlicher Forschung zur Transsexualität als aktuelles Wissen gilt. Beim Studium des TSRRG-Entwurfs drängt sich der Schluss auf, dass weniger das Recht als vielmehr die Medizin einer anstehenden Emanzipation variabel lebender Transmenschen im Wege steht. Denn solange die "Standards der Behandlung und Begutachtung von Transsexuellen" aus dem Jahre 1997 als Kriterienkatalog für MedizinerInnen und PsychologInnen quasi verbindlich sind, gilt Transsexualität "als eine besondere Form der Geschlechtsidentitätsstörungen." Diese müsse sorgfältig abgegrenzt werden von "Nicht-Konformität mit gängigen Geschlechtsrollenerwartungen (…), Transvestitismus (…), Schwierigkeiten mit der geschlechtlichen Identität, die aus der Ablehnung einer homosexuellen Orientierung resultieren (…) [und] schwere[n] Persönlichkeitsstörungen." Der Aktivismus zahlreicher Transorganisationen der Gegenwart zielt stattdessen auf eine Überwindung der Pathologisierung transgender und transsexueller Lebensweisen. Nicht die individuelle Entscheidung, das biologische Geburtsgeschlecht zu verlassen, erscheint rechtfertigungsbedürftig, vielmehr das rigide Mann/Frau-Schema, das partout keine Zwischentöne kennen will. So steht eigentlich die Medizin vor einem fälligen Paradigmenwechsel - von der Patientin zur Klientin, vom Zwang zum Bedürfnis, von der Störung zum Lebensstil. Dabei steht nicht zu befürchten, dass die Krankenkassen die Kostenübernahme für Hormone und Operationen verweigern mit der Begründung, diese Maßnahmen seien medizinisch wie juristisch nicht länger notwendig. Schließlich sind schwangere Frauen auch nicht krank, und selbstredend bekommen sie jede individuell benötigte medizinische Hilfe. Der Entwurf zum TSRRG kommt als pragmatischer Kompromiss unterschiedlicher Ansprüche daher und bemüht sich, der Realität zu Beginn des 21. Jahrhunderts gerecht zu werden. Ob er den Bundestag in der vorliegenden Form passieren und Gesetzeskraft erlangen wird, bleibt abzuwarten. Der Kampf um mehr Autonomie für Transmenschen geht unvermindert weiter.

© Andrea Bronstering

Quelle: http://www.transgenderradio.de/beitrag/tsrrg_entwurf.html

 

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