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Die Frau in meinem Männerkörper
(Titel durch die Redaktion des kiss-Magazins erstellt)

 

Ich schämte mich für meine unmännlichen Gefühle - heute lebe ich einfach normal

 

Mein Name ist Sandra, ich bin 52 Jahre alt, verheiratet, drei Kinder. Auf den ersten Blick also nichts Besonderes, oder etwa doch? Ja, denn bei mir war das nicht immer so. Gut, das mit dem Alter oder der Zahl der Kinder ändert sich bei allen Menschen im Lauf ihres Werdegangs. Aber der Vorname bleibt einem in der Regel. Nicht so bei mir. Ich konnte mir meinen Vornamen selbst aussuchen. Ein Privileg, auf das niemand neidisch zu sein braucht. Kurz gesagt, ich bin "transsexuell", oder besser "transident", wie man heute korrekterweise sagt. Ich begann mein Leben in der männlichen Rolle, auch wenn ich diese zeitlebens eher zwiespältig betrachtete. Und ich durchlebte zumindest nach außen hin eine ganz normale Kindheit als Junge. Niemand ahnte damals etwas von meinen wahren Gefühlen, und ich tat auch alles, damit keiner etwas bemerkte, weder meine Eltern noch meine Freunde.

Schließlich war Transsexualität in den 60er- und 70er-Jahren noch kein Thema in Deutschland. Ab und zu sah man im Fernsehen Travestiekünstler wie Mary & Gordy, aber über die hat man gelacht, das war nur Show, nicht das wahre Leben. Dass man an der Geschlechterrolle, in die man hineingeboren wurde, auch tatsächlich etwas ändern kann, war zumindest mir zu dieser Zeit noch nicht bekannt. Ein Transsexuellengesetz gab es damals auch noch nicht, dieses wurde erst im Jahr 1980 erlassen. Und operative Geschlechtsangleichungen wurden bestenfalls in Casablanca vorgenommen, nicht bei uns in Deutschland.

Also schämte ich mich für meine "unmännlichen" Gefühle, versteckte diese, und spielte meiner Umwelt etwas vor. Gelegentlich probierte ich abgetragene Sachen von meiner Mutter an, die ich auf dem Speicher fand, und fühlte mich kurzzeitig als die Prinzessin oder zumindest das Mädchen, das ich gerne gewesen wäre. Aber mehr war zu dieser Zeit einfach nicht möglich.

Später, während meines Hochschulstudiums, als ich erstmals eine eigene Wohnung hatte, kaufte ich mir dann meine erste eigene weibliche Kleidung, um diese zumindest hinter verschlossenen Türen tragen zu können. Aber ich hatte zu dieser Zeit nie den Mut, öffentlich zu meinen weiblichen Gefühlen zu stehen.

Irgendwann nach meinem Lehramtsstudium lernte ich meine Frau kennen. Wir verliebten uns ineinander und heirateten ein Jahr später. Ich hatte damals die Hoffnung, dass ich schon wieder "normal" werden würde, wenn ich die Weiblichkeit, die mir bisher immer gefehlt hatte, täglich um mich haben würde, und entsorgte all meine weiblichen Utensilien. Ich wollte schließlich reinen Herzens in die Ehe eintreten.

 

Meine weibliche Geburtsurkunde

 

Doch wenige Monate später ging es wieder los, die in mir schlummernde Frau meldete sich mit aller Macht zurück. Immer öfter sehnte ich mich danach, Frauenkleider zu tragen, mich zu schminken, einfach selbst Frau zu sein. Ich lag nachts oft wach, träumte vom Leben als Frau, wurde immer unglücklicher. Aber ich hatte Angst, dass sich meine Frau von mir trennen würde, wenn ich ihr alles gestehen würde.

Meine Frau war verständlicherweise sehr schockiert, als ich ihr schließlich doch meine wahren Gefühle gestand. Es gab Tränen auf beiden Seiten. Aber wir waren verliebt, und die gemeinsame Liebe war letztendlich stärker als alle Ängste. Ich lebte in der Folgezeit eine Doppelrolle, nach außen hin spielte ich weiter den Mann, zuhause in den eigenen vier Wänden verschaffte sich die Frau in mir jedoch immer mehr Platz in unserem gemeinsamen Leben.

Daran änderte sich auch nichts, als unsere drei gemeinsamen Kinder geboren wurden. Aber in den Folgejahren wurden die weiblichen Gefühle in mir immer stärker. "Ich kann einfach nicht mehr, ich werde mich outen nüssen", gestand ich schließlich meiner Frau und auch mir selbst im Herbst 2007 ein, "ich will bzw. muss als Frau leben."

Es gab wieder viele Tränen bei uns beiden, iaber wir hatten so viel gemeinsam durchgemacht, wir wollten uns nicht verlieren. Wir informierten unsere inzwischen 10, 12 und 14 Jahre alten Kinder und beschlossen nach langen und zahlreichen Gesprächen, es gemeinsam als Familie zu versuchen.

Trotz meiner großen Ängste bezüglich meiner beruflichen Zukunft informierte ich meine vorgesetzten Dienststellen im beruflichen, sowie zahlreiche Bekannte im privaten Umfeld. Nicht alle konnten es anfangs verstehen. Im Sommer 2008 begann ich mit der Hormontherapie: Ich bekam anfangs so genannte Antiandrogene, welche die Wirkung der männlichen Geschlechtshormone hemmen, zusätzlich das weibliche Hormon Östrogen. Bei einer Sprechtrainerin lernte ich, meine Stimme weiblicher klingen zu lassen. Per Epilation wurde in vielen Sitzungen der Bart dauerhaft entfernt. Im November 2008 erfolgte dann der letzte Schritt, die lang ersehnte geschlechtsangleichende Operation.

Es war, als würde ich neu geboren werden. Im juristischen Bereich fand ebenfalls alles seinen richtigen Weg, ich erhielt auch offiziell meinen selbst gewählten weiblichen Vornamen sowie rückwirkend eine weibliche Geburtsurkunde.

Sowohl unsere Ehe als auch unsere Familie hat immer noch ihren Bestand und steht auch nicht in Frage, was sicherlich keine Selbstverständlichkeit ist. Auch im beruflichen Bereich entwickelte sich nach einigen anfänglichen Stolpersteinen alles zum Guten. Heute arbeite ich als Schulleiterin einer großen Grund- und Mittelschule seit nunmehr sechs Jahren in der richtigen Geschlechterrolle, nämlich als die Frau, die ich innerlich schon immer war.

 

Heute berate ich Betroffene

 

Zudem bin ich als Beraterin bei der Deutschen Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität e.V. engagiert, gründete im Jahr 2009 Trans-Ident als Verbund von zwischenzeitlich acht Selbsthilfegruppen und drei Stammtischen zur Unterstützung von Menschen mit transidentem Empfinden und bin inzwischen die 1. Vorsitzende des gemeinnützigen Vereins Trans-Ident e.V., der auch eine eigene Beratungsstelle für Betroffene unterhält.

Heute bin ich glücklich, endlich das Leben zu leben, von dem ich schon immer geträumt habe. Viele können sich gar nicht vorstellen, wie wertvoll es ist, einfach nur normal zu sein. Das Wichtigste ist jedoch, dass ich mich heute nicht mehr verstecken oder nach außen hin verstellen muss.

 

Sandra W., SHG Trans-ldent Ansbach

 

Quelle: "Ich steh dazu - Von Tabus, Scham und Mut" (kiss-Magazin von Selbsthilfegruppen in Mittelfranken, Jahrgang 8, Juli 2014)

 

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